Einblicke in eine (Erschöpfungs-)Depression

Interview
Fragst du dich, wie der Beginn einer Depression aussehen kann? Oder möchtest du wissen, wie die Gefühlswelt einiger Betroffener aussieht? In diesem Interview teilt der ehemals betroffene Matthias Plack seine Erfahrungen, als er an einer Depression erkrankt war.
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Weißt du noch, wie das Ganze angefangen hat?

Das ist natürlich ein ziemlich langer Prozess. Ich weiß, wann so eine Art Breakeven war und ein Knackpunkt, wo ich gemerkt habe: Jetzt hast du wirklich ein Problem. Im Grunde genommen hat es sich über Jahre hinweg aufgebaut. Entscheidungen, die ich getroffen habe; Gewohnheiten, die ich aufrecht erhalten habe; wo ich dann im Nachhinein verstanden habe: Die sind nicht gesund. In dem jeweiligen Setting und in dem Zeitraum ist es dann so, dass sie dir Sicherheit geben. Und das macht die Herausforderung so groß. Am 18. Oktober 2017 war bei mir genau dieser Punkt, an dem ich gemerkt habe: Oh, jetzt hast du wirklich eine Aufgabe.

Woran hast du das gemerkt? Wie sah dieser Augenblick aus, an dem du das realisiert hast?

Es ging körperlich auf einmal nicht mehr so. Also, es hat sich immer angekündigt. Das sind doch die Klassiker: Schulterschmerzen, Schwindel. Immer mal wieder auch lange und verschleppte Erkältungen. Und ich bin an dem Tag aus dem Flieger in Frankfurt ausgestiegen und habe an eine Sache in der Vergangenheit gedacht – das hatte mit meiner Mutter zu tun. Und irgendwie ging eine Tür auf. Und auf einmal habe ich das wie so einen Schlag, eine Welle durch den Körper gespürt und habe gemerkt: Oh, das hat jetzt mit deiner Kraft zu tun. Und ich war sehr, sehr irritiert. Dann habe ich aber noch gute 6 Monate weiter funktioniert – danach kam dann die richtige Krise, wo ich auch nicht mehr arbeiten konnte und total ausgefallen bin.

Wie sah der Prozess, bis zu diesem Augenblick hin, aus? Kannst du Beispiele geben von Dingen, die du vorher anders gemacht hast, die sich aber in dieser Phase verändert haben?

Ja, also ich hatte einen ersten „Andockpunkt” schon 2015. Und die ersten körperlichen Symptome hatte ich schon 2010 bis 2011. Und 2015 bin ich schon mal 2 Wochen ausgefallen und bin danach auch zur Therapie gegangen. Und das fing an, mit einmal in der Woche, dann alle 14 Tage… Und dann ging es mir so ab Ende 2016 besser und ich dachte: Super, alles wieder gut. Du hast eine Fleißaufgabe erledigt. Und dann habe ich mehr oder weniger mein Leben weitergelebt. Und das war im Grunde genommen so eine lange Phase, wo ich dann gemerkt habe: Ich komme an einen Punkt, wo meine Seele und mein Körper sagen – ne. Wir ziehen jetzt mal für dich die Bremse.

War das dann im Prinzip ein Totalausfall, sodass du erstmal zu Hause geblieben bist?

Es waren gute 5 bis 6 Monate zwischen diesem Erlebnis, wo ich dachte: Ich habe ein Problem. Und der Totalausfall war dann ein halbes Jahr später. Ich musste ja funktionieren, ich war ja hochrangiger Manager, hatte eine Aufgabe, Verantwortung für Leute und für meine Familie. Ich habe weitergemacht. Und das Problem ist ja folgendes: Wenn man in so eine Erschöpfungsdepression gerät, dann versucht man dieses Dilemma auf die Art und Weise zu bekämpfen, wie es eigentlich entstanden ist. Ich habe mir einfach noch mehr Mühe gegeben, noch mehr gearbeitet, mich am Wochenende noch extremer ausgeruht. Und dann gibt es ganz viele verschiedene Zeichen, die im Nachhinein als Zeichen erkannt werden. Mittendrin habe ich das nicht erkannt. Z.B. dass meine Frau auch mal gesagt hat: „Wir gehen jetzt mal ohne dich weg und treffen uns mit Freunden, weil es okay ist, dass du auf dem Sofa liegst und dich ausruhst, aber wir müssen so ein bisschen weiter machen.” So hat sich das dann aufgebaut. Bis ich tatsächlich einen Tiefpunkt hatte: Ich konnte nicht mal mehr 5 Minuten spazieren gehen. Ich war so kaputt, dass ich es nicht geschafft habe, um den Schlachtensee herumzugehen. Sondern nach 5 Minuten Gehen musste ich mich ausruhen. Und dann sind wir zurück zum Auto und nach Hause gefahren. Das merke ich auch jetzt – das berührt mich auch heute noch sehr. Das war so der Tiefpunkt und der Punkt der Klarheit, wo ich dann auch selber gesagt habe: Ne, das geht so nicht weiter.

War es dieser (Leistungs-)antrieb, der dich so lange hat weitermachen lassen?

Genau – das ist so das Zusammenspiel der Gewohnheiten bzw. Routinen. Die geben Sicherheit. Mir war keine Aufgabe zu groß, kein Wechsel zu bunt, man konnte mir geben, was immer meine Chefs wollten. Ich habe das irgendwie hingekriegt und im Regelfall auch gut hingekriegt. Ich hatte aber nicht wirklich einen Zugang dazu: Was brauche ich? Wie halte ich Balance? Also, mein Bild war Leister und möglichst perfekt. Man muss sich nur genug Mühe geben, dann klappt das schon.

Hat sich das damals in deinem Gedankenbild widergespiegelt? Also, dass du sehr viel an das Erreichen und Weitermachen gedacht hast?

In der Zeit der Krise – ja. Also, zum Einen, dass ich versucht habe, durch mehr Mühe daraus zu kommen (was nicht funktioniert hat), und zum Anderen, dass ich persönlich erkannt habe, dass es an mir liegt. Also ich war zwischenzeitlich bestimmt gleichzeitig bei drei verschiedenen Physiotherapeuten und habe meine körperlichen Probleme behandeln lassen, weil ich die Lösung immer im Außen gesucht habe. Liegt aber im Innen. Und für mich war das ein sehr schmerzhafter Weg zu erkennen, dass es am Ende an mir liegt und ich Einfluss habe. Und ich akzeptieren muss, dass niemand von außen kommt und das, was ich als Herausforderung bzw. Aufgabe habe, für mich lösen wird. Und das hat ein paar Illusionen zusammenbrechen lassen. Für mich ist das ein Punkt, warum ich auch dann diese Pause brauchte, weil diese Erkenntnis mir zumindest schon die Beine weggerissen hat.

Gibt es einen bestimmten Grund, warum du deine Erfahrung öffentlich geteilt hast?

Nicht den Grund. Also, ich habe von Anfang an für mich festgehalten, dass es mir in diesem Kontext überhaupt nichts bringt, den Starken zu geben: Habe ich alles im Griff? Das kriege ich schon alleine hin. Also es war ein großer Wunsch, das zu teilen. Und ich habe für mich entschieden, dass ich offen darüber rede, aber nicht mit der Tür ins Haus falle. Und es gab nicht diesen Augenblick, wo ich sage: Jetzt gehe ich damit raus. Sondern das ist gewachsen und ich war auch immer ein sehr vertrauensvoller Mensch. Das heißt, im Kreis meiner Freund:innen, meiner Familie habe ich da immer sehr offen darüber geredet, weil mir das hilft. Es gibt so einen Begriff – gesunder Egoismus – also ich tue das auch für mich. Weil ich nicht nochmal erleben möchte, dass ich irgendetwas in mir einschließe, was dann irgendwann wie ein überlaufendes Giftfass bei mir körperliche Reaktionen hervorruft. Und so ist das gewachsen. So habe ich auch Übung erlangt: Wann kann ich wie darüber sprechen? Wenn du zu schnell und zu viel über deine Erfahrungen sprichst, erschreckt das die Leute. Da können die Wenigsten mit umgehen. Und das überfordert sie dann in dem Augenblick.

Hast du damals auch über deine Gedanken und Gefühle gesprochen?

Ich habe viel gesprochen, aber nur in der Ratio. Also mein Thema ist, dass ich aufgrund früher kindlicher Erfahrung viele Dinge in mir eingeschlossen habe. Und immer ganz viel Zuwendung über Leistung gesucht habe. Also eine Form eines unbewussten kindlichen Beschlusses, der mir aber Sicherheit gegeben hat und am Ende meine Komfortzone war. Gut sein, besser sein, viel erreichen. Und das Thema Emotionen bzw. Gefühle spielte keine wirklich große Rolle. Das ist schon eine Form von Traurigkeit, dass ich lange Zeit in meinem Leben nicht wirklich Zugang zu meinen Emotionen und Gefühlen hatte.

Das war ein erster Einblick in die Erfahrung eines Betroffenen. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, was diesem Betroffenen bei seiner Genesung geholfen hat oder was er Angehörigen von Betroffenen empfiehlt, schau dir gerne die weiteren Interviews mit ihm an. Informiere dich außerdem gerne weiter zum Thema Depression und Burnout hier in der Mediathek, oder kontaktiere die hier hinterlegten (psychologischen) Ansprechpersonen, wenn du offene Fragen hast.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.